QueerNet RLP, das Landesnetzwerk von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans* und Inter*Personen in Rheinland-Pfalz, erachtet den vorgelegten Entwurf einer „Reform“ des Transsexuellengesetzes in zentralen Punkten als unzureichend und bittet um Überarbeitung in Folgendem:
Trans* und Inter* Personen müssen selbstbestimmt über ihren Geschlechtseintrag entscheiden; die dazu nötigen rechtlichen Vorgänge müssen niedrigschwellig, ohne Begutachtung in jedweder Hinsicht und vor allem (außer einer Verwaltungsgebühr) kostenneutral erfolgen. Ein Rechtanspruch muss verankert werden, dass sämtliche Dokumente umgeschrieben werden müssen; das Offenbarungsverbot muss strafrechtlich bewährt werden; Trans* und Inter* Jugendliche müssen unabhängig von den Eltern ein Recht auf den von ihnen gewünschten Personenstand bekommen.
(a) Aktueller TSG-Entwurf und Personenstandsgesetz: Repressive Geschlechterpolitik in Deutschland
Mit der zuletzt beschlossenen Änderung des Personenstandsgesetzes wäre es möglich gewesen, Vornamens- und Personenstandsänderungen unbürokratisch und ohne medizinisch-psychiatrische Bevormundung in Deutschland für alle Menschen zugänglich zu regeln. Diese Möglichkeit wurde versäumt und stattdessen eine Änderung des Personenstandsgesetzes verabschiedet, die eine dritte Option „divers“ für inter* Personen bei Vorlage eines ärztlichen Attests oder gegen Eid offen hält. Für trans* Personen gilt diese Option weiterhin nicht. Der vorgelegte Entwurf will die beiden Verfahren „angleichen“/zusammendenken und die bestehenden Regelungen des Transsexuellengesetzes in allgemeine Gesetzbücher überführen.
Während das Bundesverfassungsgericht klargestellt hat, dass es beim Geschlechtseintrag auf die selbst empfundene Geschlechtsidenität ankommt, versucht sich das Gesetz mit Hilfe einer Reihe unbestimmter Rechtsbegriffe an eine sinnfreie Unterscheidung von Inter* und Trans* Personen zu klammern. Mit dem vorgelegten Reformentwurf werden Trans* Personen gegenüber Inter* Personen unbotmäßig schlechter gestellt und nach wie vor pathologisiert. Inter* Personen werden auf körperliche Merkmale reduziert. Während Inter* Personen weiterhin ihren Vornamen/Geschlechtseintrag mit ärztlichem Attest beim Standesamt gegen eine Verwaltungsgebühr ändern können, wird Trans* Menschen weiterhin ein Gerichtsverfahren mit entsprechenden Kosten und ebensolchem Zeitaufwand auferlegt. Das Gerichtsverfahren als solches gilt es daher abzuschaffen und die unbürokratische Vornamens- und Personenstandsänderung als reguläre Aufgabe der Standesämter zu integrieren.
Gleichzeitig sind die personenstandsrechtlichen Regelungen für intergeschlechtliche Menschen verschärft worden: Sie fallen unter die Regelungen für transgeschlechtliche Menschen, wenn sie nicht über die medizinisch fremdbestimmte „angeborene Variation ihrer körperlichen Geschlechtsmerkmale“ (§ 45b PStG) verfügen. Inter* Menschen werden zu ihrer Feststellung einer Zwangsbegutachtung ausgeliefert, indem sie ein Attest vorlegen müssen, das nur von Ärzt*innen ausgestellt werden darf. Die Definition von Intergeschlechtlichkeit ist jedoch umstritten – so entscheiden also Expert*innen ohne einheitlichen Maßstab, ob Personen ihre Grundrechte ausüben dürfen oder nicht.
(b) Von zwei kostenpflichtigen „Gutachten“ zu einer kostenlosen begutachtenden „Beratung“ – Kosten entfallen, Begutachtung bleibt bestehen
Zwar ist nicht mehr von „Begutachtung“ die Rede, doch wird trans* Antragsteller*innen eine verpflichtende „Beratung“ auferlegt. Geleistet werden soll diese zum einen von denselben Personen, die bisher für die Erstellung der Gutachten zuständig waren: Psycholog*innen und Psychiater*innen, die schon mit den Gutachten nach dem Transsexuellengesetz beauftragt waren. Sowohl bei Inter*- als auch bei Trans* Personen müssen die „Berater*innen“ über eine entsprechende Ausbildung und berufliche Erfahrung verfügen und als Beratungsstelle vom Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben anerkannt sein. Bei der Beratung von Trans* Personen kommt hinzu, dass die Berater*innen einen medizinischen, psychiatrischen und/oder psychotherapeutischen Hintergrund haben müssen. Bestehende Beratungsstellen und Selbsthilfestrukturen werden damit voraussichtlich nicht gestärkt.
Deren Machtposition als Gatekeeper, die mit überwältigendem Einfluss über den Zugang zu Maßnahmen entscheiden, bleibt daher ungebrochen. Schlimmer noch: Diese Machtposition wird noch gestärkt, weil Trans* Personen dadurch zukünftig dem ungebrochenen Urteil einer einzigen Person – anstelle von zwei – ausgeliefert sind.
Zum anderen bleiben die Kriterien des bisherigen Transsexuellengesetzes bestehen und sollen fortan in der „Beratung“ geprüft werden: „Sie [die betroffene Person] hat sich in der Bescheinigung darüber zu erklären, ob sich die betroffene Person ernsthaft und dauerhaft einem anderen oder keinem Geschlecht als zugehörig empfindet und mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sich ihr Zugehörigkeitsempfinden zu dem anderen oder keinem Geschlecht nicht mehr ändern wird. Die Bescheinigung ist zu begründen.“
Diese Zwangsberatung führt somit die Pathologisierung von Trans*Personen fort: Sie werden als Personen behandelt, die anscheinend zwingend das Tätigwerden von Ärzt*innen, Psycholog*innen oder Psychotherapeut*innen nötig haben. Die Anerkennung der selbst empfundenen Geschlechtsidentität wird durch einen Generalverdacht der Krankheit ersetzt. Zudem wird nicht einfach nur eine Beratung, um der betroffenen Person willen eingeführt. Denn dann würde eine einfache Bescheinigung ausreichen. Hier muss die Bescheinigung jedoch nach den alten TSG-Vorgaben begründet werden – es wird deutlich: Es steht Bescheinigung drauf, die alten TSG-Gutachten sind aber drin.
(c) Anhörung der Ehepartner*innen verschärft bestehende Fremdbestimmung zusätzlich
Eine eindeutige Verschärfung stellt dar, dass bei verheirateten Antragsteller*innen nunmehr der*die Ehepartner*in angehört werden soll. Es bleibt völlig unklar, welchen Inhalt und welche Bedeutung dieser Anhörung beigemessen wird. Das stellt nicht nur einen gravierenden Eingriff in die Selbstbestimmungsrechte von Menschen dar, der an die bis in die 1977 gültige Praxis erinnert, dass Frauen zum Arbeiten der Zustimmung ihres Ehegatten bedurften – so als ob sie keine eigenständigen, der Selbstbestimmung fähigen Wesen seien. Es zementiert auch ein Verständnis von Ehe, bei dem eine Beziehung auf Augenhöhe nicht möglich ist, weil der Staat es erlaubt, dass der*die Ehepartner*in in das Grundrecht auf eine selbstbestimmte Geschlechtsidentität eingreifen kann.
(d) Verfahrensfehler? Verfahren gescheitert? Mit dreijähriger Wartezeit bestraft
Eine weitere Verschlechterung ist die Einführung einer Dreijahresfrist vor der Neubeantragung. Scheitert ein Antrag (aus irgendwelchen Gründen), wären den Antragsteller*innen daraufhin für wertvolle drei Jahre die Hände gebunden.
(e) Kein wirksames Offenbarungsverbot
Ein wirksames Offenbarungsverbot, das in der Lage wäre, die Ausforschung der Tatsache effizient zu verhindern, dass eine Person eine Namens-/Personenstandsänderung vorgenommen hat, fehlt weiterhin . Es ist weiterhin keine Sanktionierung beim Offenbarungsverbot vorgesehen. Verstöße gegen das Offenbarungsverbot sollten zumindest mit Ordnungswidrigkeiten gleichgesetzt werden, doch diese Überlegung entfällt gänzlich. Bisheriger Vorname und Personenstand können so von Menschen gegen den Willen der betroffenen Person preisgegeben werden, ohne dass dies Konsequenzen hätte.
Mehr noch: Die Übertragung der Namens-/Personenstandsänderung in amtliche Dokumente soll nur noch „bei berechtigtem Interesse“ erfolgen, „soweit dies möglich ist“. Ein Änderungsanspruch, der für Trans*Personen unabdingbar ist, entfällt somit. Eine Regelung für nicht-amtliche Dokumente wie Arbeitszeugnisse usw. ist ebenfalls nicht vorgesehen. Trans*Personen müssen damit die Gnade ihrer Arbeitsplätze, Schulen und Behörden erbitten, um Dokumente zu erhalten, die mit ihren sonstigen Daten übereinstimmen und die sie nicht in jeder behördlichen und/oder Bewerbungssituation umgehend als Trans* offenlegen. Diese Situation stellt das Negativbeispiel eines effektiven Diskriminierungsschutzes dar!
(f) Rechtliche Situation für trans/inter Jugendlichem mit unkooperativen Eltern bleibt ungeklärt
Trans* und inter* Jugendliche sind auf Unterstützung ihres Elternhauses angewiesen. Doch was, wenn ihnen diese Unterstützung verwehrt wird? Der aktuelle Entwurf sieht vor, dass Jugendliche auch nach Vollendung des 14. Lebensjahres die Zustimmung ihrer Eltern brauchen, um ihren eigenen Vornamen und ihren Personenstand ändern zu dürfen. Stimmen die Eltern nicht zu, so kann das Familiengericht eingeschaltet werden.
Wie wird dann mit unkooperativen Eltern, dem Ziel des Familiengerichtes, Familien zusammenzuhalten, und dem zu achtenden Kindeswohl umgegangen? Eine rechtliche Handhabe für Trans*/Inter* Jugendliche mit unkooperativen Eltern fehlt nach wie vor; die Gefahr, dass Eltern die Vornamens- und Personenstandsänderung ihrer Kinder verbieten und das Gericht diese Entscheidung auch noch zementiert, bleibt bestehen und schwächt so die geschlechtlichen Selbstbestimmungsrechte und das gesundheitliche Wohl von Jugendlichen.
(g) Dreitägige Kommentierungsfrist: Eindruck, dass Verbände bewusst nicht gehört werden sollen
Seit Mittwoch, den 08. Mai 2019 ist der hier diskutierte problematische Gesetzesentwurf zur Neuregelung der Änderung des Geschlechtseintrags öffentlich bekannt und liegt LSBTI-Verbänden vor. Das Bundesministerium des Innern räumt den Verbänden die Möglichkeit ein, den Entwurf zu kommentieren und Stellung zu nehmen – das BMI hat den Verbänden aber gleichzeitig nur eine Kommentierungsfrist bis zum morgigen Freitag eingeräumt – also viel zu kurz, um sich eingehend mit dem missratenen Entwurf, der eine Vielzahl von Gesetzen ändern will, auseinanderzusetzen. In der Gesamtheit entsteht so der Eindruck, dass die Verbände bewusst nicht gehört werden sollen. Dann nämlich würde sich herausstellen, dass der Entwurf an den Regelungsbedarfen völlig vorbeigeht, massive praktische wie menschenrechtliche Probleme aufwürft und in zentralen Bereichen Augenwischerei betreibt. Die Vorlage eines solchen Entwurfes zu Zeiten des Europawahlkampfes und mit einer dreitägigen Kommentierungsfrist für die Verbände ist ein Schlag ins Gesicht aller Personen, die sich fachlich, persönlich und politisch ernsthaft mit der Thematik auseinandersetzen und ein menschenwürdiges Gesetz verabschieden wollen. Das Prozedere ist damit sogar als schlichtweg undemokratisch zurückzuweisen.
Wir bitten um Überarbeitung des Gesetzesvorschlags im oben dargelegten Sinne.
Joachim Schulte, Sprecher von QueerNet Rheinland-Pfalz e.V.